„Eine der Besten ihres Schlags“ – so betitelte sie das Musikmagazin „Crescendo“. 2020 mit dem hoch angesehenen „Mamlok-Preis“ für Neue Musik ausgezeichnet, steht Leonie Klein (Fotos: Ras Rotter) auch in ihrer Wahlheimat Karlsruhe zusehends im Rampenlicht – nicht nur als „We.Network“-Markenbotschafterin. Roger Waltz und Patrick Wurster sprachen mit der 1993 in der Eifel geborenen Perkussionistin.
INKA: Eigentlich sind wir ja Kollegen – du hast den Masterstudiengang „Musikjournalismus für Rundfunk und Multimedia“ an der hiesigen Hochschule für Musik absolviert, warst mehrere Jahre als SWR2-Musikredakteurin tätig und arbeitest derzeit auch als Musikjournalistin u.a. für Deutschlandfunk Kultur. Was produzierst du dort?
Leonie Klein: Vorwiegend Hörfunksendungen rund ums Thema Schlagzeugmusik. Oft kommt es auch vor, dass ich eigene Projekte zum Thema meiner Sendungen mache. Da geht es dann z.B. um neue Konzertformate von mir, die ich von der ersten Idee bis zu dem Punkt, an dem es heißt „Vorhang auf “, mit dem Mikrofon begleite. Meine journalistische Arbeit ist also eng verknüpft mit dem, was mich als Schlagzeugerin interessiert und ausmacht.
INKA: Percussioninstrumente und vor allem das Schlagzeug kennt man weniger solo, sondern vielmehr als Rhythmuseinheit im Kontext einer Band oder eines Orchesters. Hast du immer nur im akademischen Zusammenhang musiziert, also die Popmusik komplett ausgeblendet und nie in einer Band gespielt?
Klein: Während der Schulzeit habe ich bei den Glenn’s Neffen gespielt, der Big Band an meiner Schule in Wittlich. Da war ich auch Schlagzeugerin einer kleinen Jazzband. Heute spiele ich hauptsächlich Neue Musik als Solistin, aber auch im Ensemble, z.B. im Duo mit meinem ehemaligen Professor Isao Nakamura. Das Drumset, das vielen aus Pop und Jazz bekannt ist, steht bei mir auch heute noch auf der Bühne, aber das sind tatsächlich auskomponierte Stücke, die ich darauf spiele. Die sind dann oft sehr virtuos und zeigen das Drumset noch mal von einer ganz neuen Seite. Das ist jedoch längst nicht alles, was das Schlagzeug an Instrumentarium zu bieten hat: Wer kann sich z.B. vorstellen, wie Musik für eine einzige Pauke klingt? Wahrscheinlich die Wenigsten.
INKA: Mit deiner Schlagzeugperformance „1.000 Beats Per Minute“ hast du aus dem Stand das Kammertheater ausverkauft; jetzt steht die zweite Ausgabe an. Die Bühnencollage zum Thema Zeit und wie unterschiedlich wir sie wahrnehmen soll in erster Linie Menschen erreichen, die noch nichts mit Neuer Musik anfangen können. Wie darf man sich das vorstellen?
Klein: Als Grenzgang, bei dem Neue Musik für Schlagzeug auf Songs von Herbert Grönemeyer, Udo Lindenberg oder Michael Jackson trifft, dazu wird mit Text, Licht und Projektion gearbeitet. Die Herausforderung für mich war, ein Format zu entwickeln, bei dem sich ein breites Publikum angesprochen fühlt – sowohl Musikkenner und -interessierte als auch Leute, die ganz unbefangen ins Kammertheater gehen, vielleicht noch gar keinen Bezug zum Schlagzeug haben und sich einfach überraschen lassen wollen – und das von Jung bis Alt. Die Neue Musik ist also nur ein Element. Wenn es gelingt, dass Menschen die Neue Musik und das Schlagzeug so für sich entdecken, dann gerne mehr davon! Wobei Schlagzeug sehr weit gefasst ist: Ich arbeite bei dieser Performance auch mit alltäglichen Dingen, da wird Zeitungspapier zerrissen, mit Gummischweinchen gequietscht und das Ganze zu mehrschichtigen Beats geloopt.
INKA: Gemäß deinem Forscherinnencredo „Was klingt, lässt sich nutzen“. Zum Instrumenteshoppen gehst du am liebsten in den musikhochschulnahen Baumarkt?
Klein: Meine Metallinstrumente kaufe ich größtenteils dort. Herausfinden, was gut klingt, experimentell unterwegs zu sein, hat für mich einen ganz besonderen Reiz. Indem man Sachen benutzt, die sonst keiner verwendet, kreiert man seine ganz eigene Klangsprache. Die Mitarbeiter gucken da zwar manchmal kritisch, wenn ich verschiedene Artikel in unterschiedlichen Größen kaufe und meinen erst ‚Damit können Sie aber nichts bauen‘, sind dann jedoch sehr offen und haben ein Lächeln im Gesicht, wenn ich mich als Schlagzeugerin zu erkennen gebe. Auch die Leute, die einkaufen, sind immer sehr interessiert – das sind schöne Begegnungen!
INKA: Völlig anders gelagert als „1.000 Beats Per Minute“ ist deine anstehende Doppelschlagzeugshow mit dem Basler Schlagzeuger und Komponisten Fritz Hauser.
Klein: Vergangenes Jahr habe ich zum ersten Mal mit Fritz im Museum Tinguely in Basel gespielt; das hat so gut zusammengepasst, dass wir jetzt im Duo „Hauser Klein Perkussion“ auftreten. Fritz ist in der Improvisation zuhause und entwickelt als Komponist u.a. Programme für Schlagzeugsolo und -ensembles. Wir haben schon eine Woche zusammen geprobt; nach aktuellem Stand könnte „Weniger ist mehr“ zum Motto unseres Programms werden. Auf jeden Fall kaufen wir unsere Sticks jetzt im Asiamarkt – mehr verrate ich nicht...
INKA: Du hast in deinem Youtube-Kanalporträt gesagt: „Man ist ein bisschen wie ein Balletttänzer, der immer das Gleichgewicht sucht zwischen der Bewegung und den Klängen.“ D.h. du bist dir bewusst darüber, wie du dich bewegst, entwickelst quasi eine Choreografie?
Klein: In dem Moment auf der Bühne agiere ich tatsächlich unbewusst, aber das Körperliche ist bereits durch den Übungsprozess angelegt. Im Unterricht wurde bei komplexen Stücken jeder einzelne Klang durchgesprochen – man lernt das wie eine Sprache. Die Klänge, Dynamiken und ihren Charakter habe ich also im Kopf und wenn ich die Stücke dann auswendig spiele, spreche bzw. singe ich sie mit, wie man eine Melodie singen würde, nur dass es beim Schlagzeug eben meistens Geräusche sind und keine Töne. Und dann ist es die Verbindung von Klangvorstellung und Motorik: Ich habe zuerst den Klang im Kopf und dann folgt meine Bewegung, um ihn zu erzeugen.
INKA: Welche Rolle spielt dein Lehrer Isao Nakamura als einer der weltweit gefragtesten Schlagzeugsolomusiker – auch was das Körper-liche und die fließenden Bewegungen anbelangt?
Klein: Isao prägt mich bis heute, auch was die sehr körperliche Spielweise angeht. Er hat eine ganz eigene Art Neue Musik zu spielen, damit umzugehen, auch darüber zu denken. Am meisten habe ich von ihm gelernt, wenn ich als Studentin seine Konzerte besucht habe und ihn live erleben konnte. Niemals die Leichtigkeit zu verlieren, auch wenn die Stücke noch so schwer sind, und jeden Moment auf der Bühne zu genießen – das hat er mir vorgelebt.
INKA: Du hattest mit fünf Jahren deinen ersten Schlagzeugunterricht – wie kam es dazu?
Klein: Meine Eltern haben mich in den Ballettunterricht gesteckt, aber das war so gar nicht mein Ding. Dann wurde an der Musikschule des Landkreises Bernkastel-Wittlich ein Schlagzeugkurs für Minis angeboten, da hat es mich hinverschlagen – musikalische Früherziehung mit zwei Bongos. Dabei bin ich geblieben und habe über zwölf Jahre im Einzelunterricht an der Musikschule vom Drumset bis zum Xylofon ein Schlaginstrument nach dem anderen erlernt.
INKA: Bis du schon zwei Jahre vor dem Abitur mit 17 als Jungstudentin für zwei Tage die Woche auf die HfM gehen durftest, wo du 2019 den Masterstudiengang Schlagzeug bei Isao Nakamura abgeschlossen hast, derzeit zum „Soloschlagzeug in der Neuen Musik“ promovierst – und nach deiner Ende März ausgelaufenen Schlagzeugvertretungsprofessur im Wintersemester 2023/24 bald deinen Lehrmeister ablösen könntest.
Klein: Gerade hat das Bewerbungsverfahren für die Schlagzeugprofessur an der HfM stattgefunden und ich war eine der Bewerberinnen. Aber wie es auch kommt: Ich werde weiter mit offenen Ohren durch die Welt gehen und das machen, was ich am besten kann – Schlagzeug spielen.
1.000 Beats Per Minute: Do Fr, 9. 10.5., 19.30 Uhr, Kammertheater, K1; Projekt Hauser Klein: Fr, 14.6., 20 Uhr, Tollhaus, www.leonie-klein.net